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Zvi Kolitz

Jossel Rakovers Wendung zu Gott

Eine Klage. Paul Badde (Hg.), Volk & Welt Verlag, Berlin 1996, 120 S., ISBN: 3-353-01069-6, >>> Amazon; Gebundene Buchausgabe: Diogenes 2004, ISBN: 3-257-06448-9 >>> Amazon; Hörbuch-CD: Diogenes 2006, ISBN 3-257-80012-8, >>> Amazon
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Zwischen verkohltem Gestein und menschlichem Gebein macht sich ein Gebet laut. In den letzten Stunden seines Lebens hatte Jossel Rakover im Warschauer Ghetto ein klagendes Glaubensbekenntnis verfaßt, das die Nachwelt trotz aller menschengewollten Zerstörung als Flaschenpost erreichen sollte. Und daß diese Nachricht noch heute nachzulesen ist, scheint wahrhaft gottgewollt, denn JOSSEL RAKOVERS WENDUNG ZU GOTT ist ein in seiner Art einzigartiges Zeugnis des Glaubens, dessen letzterhaltene Erstveröffentlichung aus dem Jahre 1946 vor kurzem nun tatsächlich nach einem Bombenanschlag zwischen "verkohltem Gestein" vernichtet wurde. Wenn hierzulande einige meinten, nach Auschwitz könne man kein Gedicht mehr schreiben, so bietet ihnen die Figur des Jossel Rakover ein scharfes Paroli. Und so kurz sein Gebet mit knapp 25 Seiten auch ist, entzieht es sich wegen seiner immensen Dichte einer kurzen Zusammenfassung. Man möchte am liebsten wenigstens die Hälfte einer jeden Seite zitieren, weil der Absatz hier und der Gedankengang dort einen anstößt und zuweilen sogar überwältigt. Womöglich übertrifft Jossels Klage sogar das Buch Hiob, weil sie uns Nachgeborenen zeitlich näher und von daher unmißverständlicher ist. In der Qual der Wahl hier nun wenigstens zwei Zitate daraus:

"Und noch etwas will ich Dir sagen: Du sollst den Strick nicht zu sehr anspannen! Denn er könnte - Gott behüte - noch reißen. Die Versuchung, in die Du uns geführt hast, ist so schwer, so unerträglich schwer, daß Du denjenigen Deines Volkes vergeben sollst und mußt, die sich in ihrem Unglück und Zorn von Dir abgewandt haben."

"Ich kann Dich nicht loben für die Taten, die Du duldest. Ich segne und lobe Dich aber für Deine schiere Existenz, für Deine schreckliche Größe. Wie gewaltig mußt sie sein, wenn sogar das, was jetzt geschieht, auf Dich keinen Eindruck macht?"

Was heißt schon preiswert, angesichts eines solchen Textes, aber dieses schmale Buch umfaßt neben der neu überarbeiteten Übersetzung durch Paul Badde (auf den rechten Seiten) auch eine phonetische Transkription des Jiddischen durch Arno Lustiger (auf den linken Seiten). Da das Grundelement des Jiddischen mit gut 70% Anteilen das Deutsche ist, hat die synoptische Lektüre, am besten laut gelesen, einen besonderen Reiz: Das Eigenartige des Fremden und zugleich das der nahezu vernichteten Nähe. Hinzu kommt der faksimilisierte Abdruck der nun verbrannten Erstveröffentlichung: Der jiddische Text in hebräischen Buchstaben. Und nicht zu vergessen: Die umfangreiche und fesselnde Enstehungs- und Wirkungsgeschichte dieses Textes durch den Herausgeber Paul Badde. So wird z.T. noch heute behauptet, Jossel Rakover sei keine fiktive Figur gewesen, sondern hätte wirklich gelebt. Für den mittlerweile 76-jährigen Autoren Zvi Kolitz eine höchst ambivalente Auszeichnung.

Buechernachlese © Ulrich Karger


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