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Jurij Koch

Schattenrisse

Roman. Spectrum Spontan, Stuttgart 1990, 186 S., ISBN: 3-7976-1450-0, >>> Amazon
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Die SCHATTENRISSE des Jurij Koch sind für mich das Beeindruckendste, was an Romanen im Frühjahr 1990 erschienen ist. Diese Lizenzausgabe des ursprünglich im Ost-Berliner Verlag Neues Leben herausgegebenen Buches versöhnt mit der sonstigen Praxis, Lizenzen nur wegen der schnellen Mark als Beweis demokratischer Vielfalt verscherbeln zu wollen.
Gerat Lauter, noch keine achtzehn, wartet darauf, daß seine mit Kalklauge verätzten Augen operiert werden können. Die Chance, daß er danach wieder sehen wird, steht fünfzig zu fünfzig. Selbst schuld, hätte so manche/r bei Entstehung des Werkes vor der Wende gesagt.(Sagt es auch jetzt - hüben wie drüben!) Wer äußert sich auch so offen über sich selbst und über andere. Nur noch zu sagen, was wahr ist - der Autor verstand es ausgezeichnet, die Tragikomik der Auswirkungen eines solchen Anspruches auszumalen. Da steht dann die Verdutztheit Gerats der seiner Kontrahenten gegenüber. Alle, vom Vater angefangen bishin zu seiner ersten Jugendliebe verstecken sich hinter geschriebenen und ungeschriebenen "Gesetzen", die es keinesfalls anzutasten gilt, obwohl sie alles und jeden antasten und die so "Angerührten" bestenfalls zur lächerlichen Figur absinken lassen.
Kaum einer, außer vielleicht der frühe Grass mit seiner BLECHTROMMEL, hat so brilliant und unverklemmt den Un-Gleich-lauf vom Erwachsenwerden und dem Verlust an demokratischer Redlichkeit, aufgegriffen und in eine Sprache gefaßt, die in ihrem Aufbau und Wortreichtum an Hesse heranreicht, aber für den zeitbedingten Pathos von einst selbstkritische Ironie einsetzt. Die Metaphern der (systemüber-greifenden) Blindheit und des Blindege-machtwerdens sind so homogen und unauf-dringlich ins Spiel gebracht worden, daß man erst nach der letzten Seite hinter der mitreißenden Geschichte das Ei des Kolumbus knacken hört: Ganz klar und so einfach, und warum bin ich da noch nicht selber draufgekommen?
Dieser Roman ist ein weiteres gutes Pfund, mit dem die zukünftig einstige DDR bei uns wuchern und z.B. auch den Deutsch-oder/und Geschichtsunterricht in der Oberstufe eines Neudeutschlands beleben sollte.

Buechernachlese © Ulrich Karger


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