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Die Stunde Null gab es nicht. Weder bei uns im Westen noch "drüben"
- die eigentlichen Koordinaten gesellschaftlicher Antriebe sind hier wie
dort: Machtgewinn und Machterhalt. Es gibt offensichtlich keine noch so
gut gemeinte Ausgangspräambel, ob christliche Soziallehre oder der
Sozialismus, die nicht früher oder später zwischen diesen Koordinaten
zur menschenverachtenden Karikatur gepreßt würde. Die DDR bzw.
offenbar alle vom Ungeist Stalins geleiteten Ostblockstaaten haben es in
den letzten 40 Jahren allerdings auf die Spitze getrieben und ernten nun,
soweit habhaft, das, was sie gesät haben.
Den redlichen und bereits im III.Reich verfolgten Sozialisten und Kommunisten
ist der große Schock allerdings schon zu Beginn der 50-iger Jahre
versetzt worden: All die Parolen, die sie ernsthaft verwirklichen wollten,
waren für die "Führungsspitzen" von Anfang an nur Makulatur
gewesen.
"Ulbrichts Gegner sind seine KPD-Genossen. Da er selbst Stalin bedingungslos
ergeben ist und jeden seiner Schwenks mit eiserner Härte nach unten
druchdrückt, gelangt er neben Wilhelm Pieck bald in den inneren Ring
des Puffer-Rayons, in den Zirkel der fast Eingeweihten." Das heißt,
daß er aus Moskau zwar noch nicht völlig Bescheid bekommt, aber
immerhin genug, um den naiven Ausgeschlossenen, was nicht die Nichtparteimitglieder
meint, sondern die Masse der Nichtinformierten, "Paroli bieten"
zu können.
Wie weit das Taktieren dieser Machthaber ging, belegt nun Freya Klier
sehr eindrücklich und plausibel an der Nachkriegsplanung für
das Schulwesen in der DDR. Um nach Kriegsende der SPD das Verschmelzen
bzw. Untergebutterwerden innerhalb der SED schmackhaft zu machen, wurden
für die ersten Jahre sehr weitgehende, in der Tat sinnvolle Schul-Reformen
eingeleitet und umgesetzt, nur um "zum richtigen Zeitpunkt" wieder
zu Gunsten hierarchischen Drills zurückgenommen zu werden.
"Der Hauptantrieb zur Ausreise ist für Jugendliche nicht in
erster Linie ein >Auf in den goldenen Westen<, sondern in erster Linie
ein >Raus aus der bedrückenden DDR<."
Neben den erschütternden Exkursen, in denen Freya Klier die Auswirkungen
der DDR-"Erziehungspolitik" an Fallbeispielen darstellt, die hier
nur kurz mit 4-11 Jahren Zuchthaus bishin zum in den Wahnssinn- und in
den Selbstmordtreiben nur fürs Andersseinwollen Jugendlicher markiert
werden können, machte sie auch eine interessante Parallele aus: "Das
Gros der Jugendlichen DDR war dem Gros der Jugendlichen BRD erstaunlich
ähnlich - die Generationsspezifik schlug stärker durch als die
jeweilige Gesellschaftsordnung. Denn sowohl die Mehrheit der jungen Bundis
als auch die Mehrheit der jungen Zonis ließ sich eher leben. Die
einen durch die Überfülle an Videos, an technischem und modischem
Schnickschnack, die anderen durch die Überfülle an zu erfüllendem
Klassenauftrag. Ersteres mag bedeutend mehr Spaß machen als letzeres
- doch im Endeffekt löst Gängelung durch Konsum eine ähnliche
Apathie aus wie Gängelung durch den Staat." und "Dabei stellte
sich heraus, daß das Leitmotiv etlicher brauner Verschwörergruppchen
(in der DDR - d.Verf.) nicht die Renaissance des 'Dritten Reiches' war,
sondern die Gewißheit, mit "Braun" das gesamte Umfeld bis aufs Blut
reizen zu können"
Freya Klier stellt in ihrem Buch die betrogenen Betrüger bloß,
Opfer die zu Tätern wurden und umgekehrt, zu denen gehören wir
aber u.U. alle, wenn wir nicht die Zeichen unserer Zeit, die auf beiden
Seiten der Mauer abzulesen waren, endlich wahrnehmen und in folgerichtiges
Handeln umsetzen können. Es gilt den vollmündig tönenden
PolitikerInnen in dem bald fabelhaft vereinigten Deutschland und dem noch
fabelhafteren Europa nun erst recht auf die Finger zu schauen, wenn sie
sich jetzt als die Sieger und Pächter der einzigen Wahrheit feiern
lassen wollen.
"Die Schüler und Studenten könnten eine ungewöhnliche
Erfahrung für ihre Zukunft machen: die Erfahrung, daß es nicht
nur Duckmäuser gab, sondern zu jeder Zeit Menschen, die der Lüge
widerstanden - auch dann, wenn sie als unumstößliche Wahrheit
bejubelt wurde ..."