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Freya Klier

Lüg Vaterland

Erziehung in der DDR. Kindler, München 1990, 206 S., ISBN: 3-463-40134-7, >>> Amazon
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Die Stunde Null gab es nicht. Weder bei uns im Westen noch "drüben" - die eigentlichen Koordinaten gesellschaftlicher Antriebe sind hier wie dort: Machtgewinn und Machterhalt. Es gibt offensichtlich keine noch so gut gemeinte Ausgangspräambel, ob christliche Soziallehre oder der Sozialismus, die nicht früher oder später zwischen diesen Koordinaten zur menschenverachtenden Karikatur gepreßt würde. Die DDR bzw. offenbar alle vom Ungeist Stalins geleiteten Ostblockstaaten haben es in den letzten 40 Jahren allerdings auf die Spitze getrieben und ernten nun, soweit habhaft, das, was sie gesät haben.
Den redlichen und bereits im III.Reich verfolgten Sozialisten und Kommunisten ist der große Schock allerdings schon zu Beginn der 50-iger Jahre versetzt worden: All die Parolen, die sie ernsthaft verwirklichen wollten, waren für die "Führungsspitzen" von Anfang an nur Makulatur gewesen.
"Ulbrichts Gegner sind seine KPD-Genossen. Da er selbst Stalin bedingungslos ergeben ist und jeden seiner Schwenks mit eiserner Härte nach unten druchdrückt, gelangt er neben Wilhelm Pieck bald in den inneren Ring des Puffer-Rayons, in den Zirkel der fast Eingeweihten." Das heißt, daß er aus Moskau zwar noch nicht völlig Bescheid bekommt, aber immerhin genug, um den naiven Ausgeschlossenen, was nicht die Nichtparteimitglieder meint, sondern die Masse der Nichtinformierten, "Paroli bieten" zu können.
Wie weit das Taktieren dieser Machthaber ging, belegt nun Freya Klier sehr eindrücklich und plausibel an der Nachkriegsplanung für das Schulwesen in der DDR. Um nach Kriegsende der SPD das Verschmelzen bzw. Untergebutterwerden innerhalb der SED schmackhaft zu machen, wurden für die ersten Jahre sehr weitgehende, in der Tat sinnvolle Schul-Reformen eingeleitet und umgesetzt, nur um "zum richtigen Zeitpunkt" wieder zu Gunsten hierarchischen Drills zurückgenommen zu werden.
"Der Hauptantrieb zur Ausreise ist für Jugendliche nicht in erster Linie ein >Auf in den goldenen Westen<, sondern in erster Linie ein >Raus aus der bedrückenden DDR<."
Neben den erschütternden Exkursen, in denen Freya Klier die Auswirkungen der DDR-"Erziehungspolitik" an Fallbeispielen darstellt, die hier nur kurz mit 4-11 Jahren Zuchthaus bishin zum in den Wahnssinn- und in den Selbstmordtreiben nur fürs Andersseinwollen Jugendlicher markiert werden können, machte sie auch eine interessante Parallele aus: "Das Gros der Jugendlichen DDR war dem Gros der Jugendlichen BRD erstaunlich ähnlich - die Generationsspezifik schlug stärker durch als die jeweilige Gesellschaftsordnung. Denn sowohl die Mehrheit der jungen Bundis als auch die Mehrheit der jungen Zonis ließ sich eher leben. Die einen durch die Überfülle an Videos, an technischem und modischem Schnickschnack, die anderen durch die Überfülle an zu erfüllendem Klassenauftrag. Ersteres mag bedeutend mehr Spaß machen als letzeres - doch im Endeffekt löst Gängelung durch Konsum eine ähnliche Apathie aus wie Gängelung durch den Staat." und "Dabei stellte sich heraus, daß das Leitmotiv etlicher brauner Verschwörergruppchen (in der DDR - d.Verf.) nicht die Renaissance des 'Dritten Reiches' war, sondern die Gewißheit, mit "Braun" das gesamte Umfeld bis aufs Blut reizen zu können"
Freya Klier stellt in ihrem Buch die betrogenen Betrüger bloß, Opfer die zu Tätern wurden und umgekehrt, zu denen gehören wir aber u.U. alle, wenn wir nicht die Zeichen unserer Zeit, die auf beiden Seiten der Mauer abzulesen waren, endlich wahrnehmen und in folgerichtiges Handeln umsetzen können. Es gilt den vollmündig tönenden PolitikerInnen in dem bald fabelhaft vereinigten Deutschland und dem noch fabelhafteren Europa nun erst recht auf die Finger zu schauen, wenn sie sich jetzt als die Sieger und Pächter der einzigen Wahrheit feiern lassen wollen.
"Die Schüler und Studenten könnten eine ungewöhnliche Erfahrung für ihre Zukunft machen: die Erfahrung, daß es nicht nur Duckmäuser gab, sondern zu jeder Zeit Menschen, die der Lüge widerstanden - auch dann, wenn sie als unumstößliche Wahrheit bejubelt wurde ..."

Buechernachlese © Ulrich Karger


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