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Ein Jahr nach seinem hundertsten Geburtstag liegt nun auch der fünfte
und letzte Band der Werkausgabe Karl Kerényis vor. Damit sind all
jene Bücher und Schriften des ungarisch-schweizerischen Gelehrten
wieder verfügbar gemacht, die ein mitreißend klares Bild von
der antiken Religion und Mythologie vermitteln.
Die "URBILDER DER GRIECHISCHEN RELIGION" versammeln vier sich zum Teil
aufeinander beziehende Einzelpublikationen, die zwischen den Jahren 1942
und 1948 entstanden sind und nichts an ihrer verführerischen Plausibilität
eingebüßt haben. Kerényi wußte den zuweilen sogar
nur in Fragmenten vorliegenden Überlieferungen verblüffende Erkenntnisse
zu entlocken, ohne das durch Raum und Zeit bedingte Fremde dieser Thematik
wegzuglätten.
Selbst "nur" interessierte Laien können sich mit Gewinn
und Genuß an diese wissenschaftlichen Studien "heranwagen",
da Kerényi bei aller Sachlichkeit und Quellenschau sein literarisch
ambitioniertes Gefühl für Sprache in gutgebauten Sätzen
unter Beweis stellte.
Von der Herausgeberin Magda Kerényi sinnfällig aneinandergereiht,
werden uns hier vier Götter anhand ihrer Mythen und Kulte nähergebracht:
Der Arzt-Gott Asklepios, Hermes der Seelenführer, die rätselhaften
Kabiren und Prometheus. Diese Götter boten sich Kerényi in
der Zeit des Krieges und der Emigration nicht von ungefähr zur besonders
intensiven Auseinandersetzung an, sind sie doch der menschlichen Hilflosigkeit
am meisten zugewandt.
Das Vorwort zu "Der göttliche Arzt" beginnt Kerényi
mit einer allen vier Studien zugrundeliegenden Gegenhypothese, wonach die
Ersterwähnung eines Mythos in einer jüngeren Textquelle nicht
automatisch den Beleg für eine relativ junge Erzähltradition
hergibt. Es gilt nach Parallelen zu suchen und sich hierbei nicht von anderslautenden
Namen verunsichern zu lassen. So sind (nicht nur) bei Asklepios Variationen
ein und desselben Mythologems auszumachen, die weit in die vorhomerische,
ja sogar vorgriechische Zeit verweisen. Der mit Schlange und Stab gekennzeichnete
Gott hat demnach einen sehr engen Bezug zu Apollon und zu der bis ins 15.
Jahrhundert v. Chr. nachweisbaren tessalischen Mythologie um Chiron, dem
arzneikundigen Kentauren.
Wenn Kerényi fragt "Was erschien den Griechen als Hermes?",
setzt er eine seelische, möglicherweise auch darüber hinausreichende
Realität voraus. So ist die Welt der Ilias keine typische Hermeswelt,
im "Reise-Epos" der Odyssee dagegen wird Hermes ganz selbstverständlich
als zauberkundiger Retter und im letzten Gesang als Seelenführer eingeführt.
Als Meisterdieb von Apollons Rindern wiederum beweist Hermes eine "Unschuld
des Werdens", die "nichts mit Sünde und Sühne zu tun"
hat. Zudem ist er ein Gefährte von Göttinnen und vom satyrnhaften
Silenos und wird auch in seinen Beziehungen zu Eros vorgestellt. Die Kapitel
über "Das Mysterium der Herme" und seinen doppelten Bezug zum
geheiligten Widder vervollständigen dann die Sicht auf das äußerst
vielschichtige Spektrum dieses Gottes.
Im Kapitel zu den "Mysterien der Kabiren" setzt wieder eine
instruktive Einleitung den Anfang. Hierin spricht Kerényi von der
Gefahr der Forscher, "einem ihm, dem heutigen Menschen, geläufigen
Gehalt, durch den Gleichklang der Namen verführt, auf eine unhistorische
Weise der Antike zu unterschieben". Das gilt auch für den Begriff
"Mysterium". So war das "Geheimgehaltene" im griechischen
Kult allen im Umkreiswohnenden durchaus bekannt, es war jedoch etwas "Nicht-Auszusprechendes".
So auch das in die tiefste Vergangenheit reichende, sich auf Persephone
beziehende Mysterium der sich mit einem Schleier verhüllenden Braut
und eine uralte "Storchenmythologie", die den Ursprung des Lebens
erklärt.
Den krönenden Abschluß bilden die Studien zu Prometheus.
Wie diese Gottheit für die Menschheit einsteht und mit ihr gemeinsame
Sache macht, gibt sie ihr sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit der Beziehung
Christi zur Menschheit. Da Prometheus jedoch ein Gott ist, ist sein Leiden
von einer besonderen Paradoxie, die Kerényi unter anderem auch an
einem fragmentarischem Frühwerk Goethes untersucht. Dies nicht von
ungefähr, denn der "Weltschöpfer" einer griechischen Mythologie
"ist der Dichter, der solches dichtet."
Jedes Kapitel mit Anmerkungen versehen, fehlen im ersten auch nicht
die 57 schwarz-weiß Photos, auf die sich der Autor bezieht. Das in
Leinen gebundene Buch wurde um ein Register erweitert und hat angesichts
seines Preises nur einen Mangel: Es fehlen ein, besser zwei Lesebändchen,
die das Springen zwischen Text, Anmerkungen und Photos erleichtern würden.
Weitere Besprechungen zu Werken von Karl Kerényi siehe:
Büchernachlese-Extra: Karl Kerényi