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Wieder wurde ein KZ-Aufseher freigesprochen. Diesem Mann konnte der
Vorsatz bestialischer Menschenverwaltung nicht nachgewiesen werden. Er
handelte ja nur auf Befehl ...
Wieder ist ein Jubiläum zu 'feiern': 50. Jahrestag der sogenannten
Reichskristallnacht. Die zynisch-poetische Umschreibung Goebbels für
die Ereignisse vom 9. und 10. November 1938 ist immer noch leichter abrufbar,
als im selben Zusammenhang an Völkermord zu denken: Ein Volk sollte
ermordet werden; ein Volk mordete ...
Der juristische Freispruch in einem Rechtsstaat erspart besagtem KZ-Aufseher
zwar die Strafe, kann ihm aber im größeren, eigentlichen Sinne
nicht die Schuld und die Verantwortung absprechen. Die mittlerweile großelterliche
Generation von Befehlsempfängern ist aber noch nicht mal in der Lage, rückhaltlos ihre als 'bloße Befehlsempfänger' verbrochenen
Erfahrungen zu bezeugen. Nicht zuletzt deshalb fällt es auch den Opfern
so schwer, uns Nachkriegskindern Zeugnisse ihres durchlebten Terrors zu hinterlassen.
Umso kostbarer muß dann der autobiographische Bericht von Hilde
Huppert geschätzt werden. Diesen Bericht, der ihre Erinnerungen von
1939-45 erfaßt, schrieb Hilde Huppert gleich nach Kriegsende noch
unter dem Eindruck des Gerade-erst-Befreitseins.
Von der in Bielitz (Schlesien) lebenden Familie können zuletzt
nur noch Mutter und Sohn aus dem KZ Bergen-Belsen gerettet werden. Eltern,
Geschwister, Nichten und Neffen - alle werden nach und nach von der zur
Perfektion angetriebenen Todesmaschinerie aufgerieben und 'vernichtet'.
Dennoch verlor die Autorin nicht den Überblick. Sie würdigte
die wenigen hilfsbereiten Christen genauso wie sie über die seltsame
Unwissenheit der Befreiungsarmeen erstaunt war.
Nicht 'literarisch' konzipiert, leistet das Buch alles, was gute Literatur
ausmachen kann. Ohne den Ballast sentimentaler Kommentierung bleibt für
den gefesselten Leser der nötige Freiraum, eigene Gedanken und Gefühle
zu entwickeln.
Mit dieser 'wirklichen' Zeugenaussage vor Augen liegt es nun an uns,
nicht zu Fortsetzungstätern zu werden ... nicht Fortsetzungstäter
zu bleiben!