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Henriette Herz - sie war offenbar nicht nur wegen der über Jahre hinweg ihren Salon hofierenden Gäste - in freundschaftlicher Konkurrenz zu Rahel Levin-Varnhagen - eine "Sehenswürdigkeit" Berlins. Berühmte Aufklärer und Romantiker, allen voran die Humboldt-Brüder, Schlegel und Schleiermacher, schätzten ihre schöne Erscheinung ebenso wie die hellsichtige Eleganz ihres bisweilen auch in scharfzüngigen Formulierungen zu Tage tretenden Esprit. Und sie war eine Förderin. Insbesondere der Theologe Schleiermacher hatte in ihr eine bis zu seinem Tod loyale Freundin, die ihm trotz aller Widerstände seitens der Obrigkeit stets die Treue hielt.
"Möwenvolk dort oben, ein wenig ungezogen. Ganz brav die See. Wie ein graues Bettlaken, das im Wind flatterte. Verspielt nur, wie ein junger Hund, leckte eine Welle nach dem Felsen. Silbern schimmernde Unendlichkeit."
Klaas Huizing schlägt mit seinem neue Roman "Frau Jette Herz" höchst effizient gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe und schwimmt nach seinen Werken zu dem "Büchertrinker" Tinius, Kant und Kierkegaard auch mit diesem in dem ihm sehr vertrauten Gewässer jener Epochen. Doch diesmal drohte ihn sein ironisch distanzierter Blick auf seine Titelheldin die Untiefen des allzu Seichten übersehen zu lassen. Insbesondere in der ersten Hälfte grenzt seine Vorstellung von ihr schon fast an Verrat, trösten einen auch Sentenzen wie die oben zitierten nur wenig über die andauernd anrollenden Wellen "weiblich" affektierten Geplänkels, deren Täler immer wieder bis an die Schmerzgrenze affirmativ eingeschobene Einwortabsätze wie "Ja." oder "Durchaus." bilden.
Dem Begriffsstutzigen wird erst allmählich klar, dass hier sehr geschickt der einer heute nur noch sehr spezialisiert ausgebildeten Klientel bekannte (und geschätzte) Theologe und freiheitliche Denker Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher einem breiteren Publikum interessant gemacht und nahe gebracht wird. Zu Lasten der Titelheldin - aber auch Schleiermachers. Denn so sehr beider Geist den meisten überlegen ist, so wenig können sie sich dem zur Karikatur gewordenen äußerlichen Unterschied erwehren. Sie groß und von geradezu Ehrfurcht erregender Schönheit, er mit Lockenpracht und überaus feinen Händen, aber wesentlich kleiner und von einer schiefen Schuler gezeichnet.
Während Schleiermachers Schriften als historisch-kritische Gesamtausgabe vorliegen, hat Jette Herz nahezu all ihre Tagebücher, Reiseberichte und Romanfragmente vor ihrem Tod vernichtet. Und dass, obwohl schon zu ihren Lebzeiten so mancher Verleger sich die Finger nach ihren Erkenntnissen und Erlebnissen mit "Tout Berlin" geleckt hätte. Aber sie war und blieb diskret.
Etwa zur Mitte ihres Lebens und in der Mitte des Buches, lässt Huizing ihr von Schleichermacher sehr deutlich ansagen, dass er sie auch nach dem Tod ihres Mannes ausschließlich als Freundin des Geistes willkommen heißen will. Und ab hier gewinnt das waghalsige Hasardspiel des Autors an Fahrt und Tiefe, halten beide Figuren eine wohl austarierte Balance im Tragischen aber keineswegs Lächerlichen. Während Schleiermacher noch sein Hauptwerk "Die Glaubenslehre" vollendet, aber an der Ehe mit einer viel jüngeren Witwe mit Hang zu einer Hellseherin zerbricht, wird der Herz eine große Reife in ihrer Sicht aufs halbvoll mit süßen Trauben gefüllte Glas attestiert.
Dieser Roman - eine Biographie kann es ja gar nicht sein! - besticht durch die Brillanz seiner jener Zeit abgeschauten Sprachregelung, die jedoch in ihrer Ironie, dem durchaus schwarzen Sinn für Humor alles andere als vorgestrig wirkt. Gleichzeitig wird hier ohne alles zudeckenden Pathos eine Lanze für die Freiheit des Geistes und der Toleranz gebrochen. Denn selbst vor ihrem Schleiermacher war Jette Herz nicht gegen antijüdische Ausfälle gefeit ...
Interview und weitere Besprechungen zu Werken von Klaas Huizing siehe:
Textenetz: Klaas Huizing