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Robins Unbehagen begann schon gegen Ende der achten Klasse. Das Unbehagen wuchs zur Gewissheit an, dass alles zu klein, zu eng, zu unwichtig war. Und schließlich war da der Wunsch, alles ganz anders zu machen. Seine Mutter nannte das Pubertät, aber das nutzte Robin gar nichts.
Ein Jahr später trifft Robin auf den coolen Leo, der dem Alltag schon längst mit Rauchen, Kiffen und Saufen den Rücken gekehrt hat und das "Bewusstseinserweiterung" nennt. Leo wird für Robin zum Vorbild, und im Rausch ist sein Selbstwertgefühl so groß, dass er sich sogar die umwerfend gut aussehende Karla anzusprechen traut. Doch Karla ist noch härter drauf als Leo und wirft gemeinsam mit Robin Trips ein, die ihn endgültig aus der Bahn werfen und buchstäblich abstürzen lassen. Leo hat Glück und am Ende noch die Chance einzusehen, dass die Wirklichkeit weit vielversprechendere Wege zur (Selbst-)Erkenntnis bereithält, als die von Leo oder Karla.
Nach zahlreichen Kinderromanen hat Antje Harden mit "Keine halben Sachen" ihren ersten Jugendroman vorgelegt, dessen Manuskript bereits mit dem Peter-Härtling-Preis 2019 ausgezeichnet wurde.
Von einer Drogensucht betroffene Kinder und Jugendliche zur Umkehr anleiten zu wollen, wäre beim Schreiben eines derartigen Buches nur ein "gut gemeinter" Ansatz und kann deshalb nicht der Gradmesser für dessen Qualität sein.
Antje Harden hat jedoch beim "Wie" ihrer Erzählung geradezu den Gordischen Knoten durchschlagen und dürfte damit den Radius ihrer Leserschaft von vorneherein erheblich erweitert haben. Sie erzählt durchgehend aus der Ich-Perspektive des 15-jährigen Robins, der bei seiner alleinerziehenden Mutter lebt. Ihre Lebensverhältnisse sind nicht einfach und sie müssen beide für ihr Essen mit 50 Euro pro Woche auskommen. Doch Robin weiß sich von seiner Mutter geliebt. Sie schenkt ihm ihr Vertrauen, ganz egal, was ihr über ihn wieder zu Ohren kommt, und händigt ihm, von wegen Selbstständigkeit, auch seinen Geldanteil für das Essen aus - den Robin prompt für Drogen ausgibt.
Ein solch ungebrochenes Vertrauen wünschen sich wohl viel Pubertierende. Bei Robin wirkt es zwar nicht unmittelbar, wird aber auf längere Sicht zu einem Sicherungshaken, der sich als lebensrettend erweisen kann. Herden setzt hier also weit weniger auf äußere Umstände wie Eltern-Kind-Konflikte, als vielmehr auf Robin selbst. Sein Problem wird als das alterstypische Gefühl beschrieben, der Kindheit entwachsen zu sein und für sich nun alles neu "erfinden" zu müssen. Diesem Gefühl spürt die Autorin mit sehr viel Empathie nach und verleiht ihm glaubhaft Ausdruck. Für Stimmungsschwankungen zwischen "Himmel hoch jauchzend" und "zu Tode betrübt" findet sie einen authentisch-selbstironischen Ton, wie auch für die aberwitzig frohgemute, von Zweifeln zu spät gebremste Unbedarftheit, mit der Robin auf seinen Absturz zusteuert. Sich als Erwachsener an die eigene Unbedarftheit erinnernd, stockt einem da wiederholt der Atem.
Die Volte am Ende ist zwar vorhersehbar, aber wunderbar entfaltet. Ein nachhaltiges Lesevergnügen.