buechernachlese.de
|
Der Tauchunfall eines jungen Literaturdozenten ist in Wirklichkeit Mord.
Auch der eingeschlagene Schädel Professor Scha'ul Tiroschs ist kein
Unfall. Aber wer hatte ein Interesse, Israels berühmtesten Dichter
und Leiter des Instituts für Hebräische Literatur zu ermorden?
Ein Fall für Oberinspektor Michael Ochajon, der von seinem Vorgesetzten
wegen seiner einst genossenen Universitätsausbildung sowieso schon
immer aufgezogen wurde. Und tatsächlich wäre ohne Ochajons Einfühlungsvermögen
in die akademischen Gepflogenheiten dieser Fall wohl auch nie gelöst
worden. So hatte der als Frauenheld berüchtigte Dichter zwar mit der
Frau des jungen Dozenten geflirtet, aber dessen Ermordung war zwei Tage
vorher, und von Amts wegen gehörte sie nicht einmal in den Zuständigkeitsbereich
Jerusalems. Daß die beiden Fälle jedoch eng miteinander verknüpft
waren, darin bestand für Ochajon überhaupt kein Zweifel ...
Nach "Am Sabbat sollst du ruhen", ausgezeichnet mit dem "Deutschen
Krimipreis", liegt endlich die hervorragende Übersetzung des zweiten
Falls von Ochajon vor, für die Mirjam Pressler verantwortlich zeichnet.
Obwohl man bereits nach der Hälfte des Romans ahnt, wer und was die
Beweggründe für die Morde sind, läßt doch die Spannung
bis zum Ende nicht nach. Das liegt nicht zuletzt an dem Sinn der Autorin
Batya Gur für das Ausgestalten der Psyche ihrer Hauptpersonen. Angefangen
beim Oberinspektor, der nun einige Jahre älter zwar willens, aber
immer noch nicht in der Lage ist, eine verbindliche Beziehung einzugehen,
werden insbesondere die Hoffnungen, Eitelkeiten, aber auch die tief-ernsten
Beweggründe für ein Leben mit und für die Literatur vorgeführt.
Letzteres meint nicht weniger als ein Streben nach Weisheit und Wahrheit
und dies wiederum auf der Grundlage der (Er-)Kenntnisse über die Herkunft,
die, was Israel betrifft, nicht zuletzt in den biblischen Geschichten dokumentiert
wurde. Die Handlung spielt in der "Vorwendezeit". Noch 1985 pflegte
die Sowjet-Union äußerst brutal mit regimekritischen Autoren
umzugehen, und jüdische Autoren waren von dieser Behandlung keinesfalls
ausgenommen. Einer von ihnen ist wie viele andere schon vor Jahrzehnten
in der Gefangenschaft umgekommen, aber Scha'ul Tirosch hatte seine Texte
retten können - allerdings nicht aus Selbstlosigkeit ...
Neben der Spannung und dem abgelegten Zeugnis eines selbstbewußten
Israel ist dieses Buch gerade wegen der Dichte und Tiefe seiner Charakterstudien
von hoher Überzeugungskraft.
Weitere Besprechungen zu Werken von Batya Gur siehe:
Büchernachlese-Extra: Batya Gur