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Büchernachlese-Extra: Günter Grass

Günter Grass

Letzte Tänze

Gedichte & Bilder. Steidl Verlag, Göttingen 2003. 96 Seiten. 35,00 Euro. ISBN: 3-88243-882-7, >>> Amazon
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Eigentlich hatte sich Günter Grass nach "Im Krebsgang" eine Schreibpause verordnet und sich stattdessen wieder seiner anderen Muse zugewandt. Aber hierbei haben sich dann doch wieder Gedichte aufgedrängt, die nun unter dem programmatischen Titel "Letzte Tänze" unter und über die offenbar wie im Rausch und in schneller Folge entstandenen Skizzen und Zeichnungen gemischt wurden. "Letzte Tänze" meinen hier Reminiszenzen an die vergangenen Zeiten mit Schieber, Foxtrott, Ragtime und Tango, aber auch jüngst gewagte Kopfstände und das sich noch immer mit der Liebsten vereinigen wollen - und können.
Mit seinen bald 76 Jahren versetzt Günter Grass einen immer noch ins Staunen. Mit welcher Lust und Unbefangenheit er sich hier ausprobiert und der Welt ausliefert, könnte geradezu als waghalsig beschrieben werden. Gerade wo er seine Kritikaster nur allzu gut kennt …
Grass kann es sich leisten. Das eine wie das andere - nichts tun oder Bücher im Kartoffeldruck bestempeln. Er hat es sich und uns längst bewiesen: Er ist Schriftsteller und Bildender Künstler, in beidem weltweit erfolgreich und mit höchsten Ehren ausgezeichnet. In der bewährt soliden Ausstattung seines Hausverlages kann deshalb in "Letzte Tänze" nun auch sehr unspekulative Kunst geschaut werden, die vor allem durch das angstfrei Spielerische ans Herz und in den Verstand geht. Spielen heißt sich auszuprobieren, auch daneben zu greifen, aber dann durch das Immerwieder sich in ein dynamisches Gelingen zu steigern, das zu schweben beginnt.
Daneben geht es in "Des Wiederholungstäters halbherzige Beichte", als Wörter wie 'Kasten', 'Päderasten', 'Fakten', 'Akten' rattern und sich "ficken" auf "Wicken" reimen muss. Hierin kann er auch der offenbar übermächtigen Versuchung nicht widerstehen, sich doch noch mal ein so kokettes wie unnötiges Denkmal seiner selbst setzen.
Aber da wo er ins Fliegen geraten ist, hört man die Grammophonmusik alter Schelllackplatten und könnte schon beim nur gesprochenen "Tango Nocturno" mittanzen. Anrührend kratzig teilt sich das mit, teilt Grass mit dem Leser Gefühle, gibt preis, was jeden betrifft, und schöpft dafür in souveräner Leichtigkeit aus seinem Formen- und Erfahrungsvermögen.
Das Gros bilden mehrstrophige Gedichte, durchweg überzeugend sind aber gerade auch die kurzen, sehr reduzierten Vier- und Fünfzeiler, die weit über das rein Aphoristische hinausweisen. Die Summe der Zeichnungen spiegeln eine große Amplitudenbewegung, manches hat nur die Qualität einer Vorskizze oder ist, wie die Rötelzeichnungen am Ende, arg plakativ trotz Anleihen an Picasso, anderes aber, insbesondere die von Schrift durchpflügten Kohlezeichnungen zu Anfang, halten das Auge fest und nehmen einen in die Bewegung hinein.
Noch einmal: "Letzte Tänze" ist Anschauungsunterricht für das, was Kunst und ihre Dynamik ausmacht. Risikofreudig, grenzensprengend, überraschend. Einfach erstaunlich - und ermutigend.

Weitere Besprechungen zu Werken von Günter Grass und Sekundärliteratur dazu siehe:
Büchernachlese-Extra: Günter Grass

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