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Büchernachlese-Extra: Günter Grass

Günter Grass

Mein Jahrhundert

Das illustrierte Buch. Steidl Verlag, Göttingen 1999, 416 S., ISBN: 3-88243-651-4, >>> Amazon
Das Lesebuch. Steidl Verlag, Göttingen 1999, 384 S., ISBN: 3-88243-650-6, >>> Amazon
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Für- und Widerworte

Reden. Steidl Verlag, Göttingen 1999, 96 S., ISBN: 3-88243-681-6, >>> Amazon
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Eine Idee, die fast schon zu naheliegt: Am Ende eines Jahrhunderts Rückblick halten und das Vergangene Jahr für Jahr vor Augen führen. Die nicht zu überspringende Hürde dabei: Es kann nie Alles von Allen in Betracht gezogen werden, den Fettnäpfchen ist da nur schwerlich zu entgehen.
Günter Grass aber hat den Gordischen Knoten gelöst, ohne ihn einfach zu zerschneiden. "Mein Jahrhundert" weist von vornherein auf eine persönliche Bilanz hin, und wenn nicht er, welcher unserer deutschsprachigen Autoren hätte dann das altersweise, ironisch gebrochene Format, diese Bilanz aufzumachen? Von 1900 bis 1999 der volkstümlichen Zählart folgend, erzählt er 100 kurze Geschichten, davon 17 mit kenntlich autobiographischen Bezügen, der große Rest aus zum Teil sogar völlig diametral entgegengesetzten Positionen heraus. Seine im eigene politische Sicht, insbesondere die mahnend erinnernde gegen Kriege und Machtmißbrauch vernachlässigt dabei durchaus nicht jene im Kleinen "weltbewegenden" Dinge, wie sie z.B. aus Mode, Sport und Technik überliefert sind.
In eineinhalb Jahren 100 Geschichten in leichtflüssige, zuweilen sogar in authentisch dialektgefärbte Kurzprosa zu verdichten, ist ein gewaltiger Kraftakt. Hybride Anmaßung, wenn sie nun alle bei allen gleichermaßen "ankommen" können sollten. Meine Favoriten waren u.a. jene aus den Jahren 55, 78 und 80, die sich, Atombunker, Herrn Abs und Regierung versus Boatpeople thematisierend, in ihren Schlußvolten überboten. Die autobiographischen Einblicke wiederum, z.B. auf den mit drei Töchtern von drei unterschiedlichen Müttern in die Toskana reisenden Vater sind von rührend zurückgenommener Zärtlichkeit und die Begegnungen z.B. mit Biermann trefflich geschildert wie auch die über mehrere Jahre hinweggehenden Fortsetzungsgeschichten (14-18, 39-45, 66-68, 87-90 und 96-98) von facettenreicher Eindringlichkeit sind. Insbesondere der in die 60er verlegte Dialog zwischen Remarque und Jünger, wie sie gemeinsam über den I. Weltkrieg sinnieren, überzeugt in seiner mehrbödig ausgeloteten Tiefe.
Dies alles ist nun in zwei Buchausgaben nachzulesen. Der Autor und sein beneidenswert kongenialer Verleger haben sich darauf verständigt, da jene in Großformat mit ihren mehr als 100 farbig reproduzierten Aquarellen ihren zurecht hohen Preis hat. (Die Lesebuchausgabe ist nun zwar um die Hälfte billiger, wird Studenten aber nichtsdestotrotz auf eine noch preiswertere Taschenbuchausgabe hoffen lassen.)
Zur Bibliophilie Neigende und Grass-Liebhaber sowieso werden sich die großformatige Ausgabe nicht entgehen lassen. Mit ihren 2,7 Kilogramm liegt sie zwar schwer auf Knien oder Tisch, aber ihre Farbenprächtigkeit erhöht zweifellos die Lust zum darin Schmökern. Nur - auch die Bilder von Günter Grass werden gewiß unterschiedlich wahrgenommen werden. Einige dienen lediglich plakativer Illustration, bei einigen "hinweisenden" Händen ließe sich wohl auch über deren Anatomie streiten, aber die meisten, wie z.B. die Figurengruppen und Landschaftsimpressionen, beweisen kunstvoll eindrückliche Leichtigkeit und entwickeln einen gleichwertig korrespondierenden Gegenpart zum jeweiligen Text. Zu ihnen zählen auch die Zahlenhügel, welche den Umschlag zieren und die Fortsetzungsgeschichten bzw. Perioden siehe oben rahmen.
Das Beste aber ist, daß Grass auch mit diesem Werk noch lange nicht am Ende zu sein scheint. Mit über siebzig behaglich gewohnte Bahnen zu verlassen und sich noch derart gekonnt auf Neues einzulassen, zeugt nach wie vor von einer Potenz, die eben auch ohne absurde Statements auskommen kann. Hierbei sei deshalb zum Schluß auch noch auf die in einem preiswerten Sonderband erscheinenden "Für- und Widerworte" hingewiesen, die das in zwei seiner älteren und einer gänzlich neuen Rede unterstreichen.

Weitere Besprechungen zu Werken von Günter Grass und Sekundärliteratur dazu siehe:
Büchernachlese-Extra: Günter Grass

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