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"Mit Hilfe einiger vertrauenswürdiger Aufseher schickte sie
Kassiber, kleine, zusammengerollte Papierstreifen, in Brotstücken
versteckt in die benachbarte Zelle 41. Wer ihr antworte, solle ihr Geliebter
sein. Und der ebenfalls zum Tode verurteilte Dr. Richard (Risa) Macha antwortete ...."
Diese Zeilen von den ersten Seiten des Vorwortes leiten in der Tat
'Merkwürdiges' ein: Eine Sammlung von Briefen und Kassibern der 'Volksfeindin'
Marianne Golz-Goldlust, geschrieben 1943 In einem Prager Gefängnis.
In der fiktiven Literatur findet sich wohl manches Beispiel von erfüllter
Liebe, die auch im Angesicht des Todes standhält. Die Wirklichkeit
von Marianne, einer in den 20iger Jahren u.a. zusammen mit Richard Tauber
gefeierten Operettensängerin, und Risa übertrifft solche Fiktionen.
Sicher war die Liebe der beiden nicht erfüllt, weder in sexueller
noch in seelischer Hinsicht. Diese Liebe jedoch setzte ein heimliches Fanal
gegen die tödliche Tumbheit sie verurteilender 'Übermenschen',
und Sie ist rührend wie ein Schößling, der sich durch Beton
seinen Weg gebahnt hat.
Doch in ihrem Vorwort, das ein Drittel des schmalen Bändchens
einnimmt, enthält sich Vera Gerasow wohlweislich solch 'sentimentaler'
Vergleiche. Ihr gelingt es, die Leserschaft auf das Nachfolgende so umfangreich
wie nötig und möglich einzustimmen, ohne sich und diese Faktenkenntnis
in den Vordergrunb zu spielen. Daß Marianne als 'arische' Wienerin
zu der jüdischen Familie ihres Mannes hielt und nicht zuletzt auch
deswegen verurteilt wurde, weil sie (jüdischen) Menschen in Not ohne
ideologischen Hintergrund 'einfach' geholfen hatte, ist für sich genommen
Anlaß genug, die würdigende und ehrerweisende Erinnerung an
sie wachzuhalten. So ein Verhalten kann selbst von den aus der deutsch-nazistischen
Volkszugehörigkeit befreiten Österreichern nur selten bezeugt
werden - aber wie sie die letzten Stunden ihres Lebens mit dem Lebendig-werden-lassen
einer neuen, wenn auch eingeschränkten Liebe füllt, dürfte
wahrhaft einzigartig sein.
"Mein Liebling! Ich bin grenzenlos unglücklich; die starke Frau
bin ich nur zum Schein und nur mit wenig Erfolg. (...) Wir haben noch Zeit,
wir überleben noch die anderen. Glaubst Du mir, daß ich dir
G1ück gebracht habe? Glaub es endlich!"
Diesem Zeugnis kann sich kein mündiger Mensch verschließen,
ohne Alt-Erkanntes neu zu bedenken. Nicht zuletzt den nach Wahrheit suchenden
Jugendlichen sollte es weder von den Eltern noch in der Schule vorenthalten
werden.