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Riva da Pignoli ist eine kleine Insel in der Lagune von Venedig. Kaum
einer kennt es, selbst der Frühling scheint es vergessen zu haben.
Hier leben Albertino, der hübsche Schatullen sammelt, und die dicke
Ermenegilda, die mit ihren Zornausbrüchen erst im allerletzten Moment
Albertinos Liebe gewinnen wird. Oder die geheimnisvolle Miriam, die von
Gianluca genauso leidenschaftlich wie von Piero verehrt wird. Oder Piarina,
das lange Zeit stumme Mädchen, das von seiner Mutter Valentina immer
wieder verprügelt wurde, und die trotzdem oder eben deswegen die Gabe
der Heilung erlangt. Sie alle vermissen den Frühling, bis Piero erfährt,
das der Frühling sie einfach übersehen hat. Das Dorf muß
sich bemerkbar machen, vielleicht durch den Bau eines Glockenturmes oder
eines "campos" oder eines Denkmals, oder am besten durch den Bau
aller drei Wahrzeichen. Das Werk ist fast vollendet, als ein Sturm über
die kleine Insel hinwegfegt ...
Michael Golding, Jahrgang 1958, gibt sein Debut mit einem Roman, der
in eine Welt des Aberglaubens und des unbekümmert temperamentvollen
Liebeswerbens entführt, wo Leben und Tod von magischen Gleichungen
bestimmt werden und einfache Wahrheiten ihre Gültigkeit haben. Diese
scheinbare Schlichtheit, ähnlich den kleinen Geschichten im Decamerone
von Boccaccio oder den frühen Filmen Pasolinis, wird bei dem amerikanischen
Autoren in einer geradezu singenden Sprache entfaltet. Dank der kongenialen
Übersetzung von Gisela Stege werden auch deutschsprachige Leser eingefangen
und bezaubert, ohne nun gleich im Chor "Zurück zur Natur!"
skandieren zu müssen. Vieles in Riva da Pignoli erscheint aberwitzig
oder auch nur komisch. Jeder hat seine eigenen Beweggründe, sich am
großen Gemeinschaftswerk zu beteiligen. Aber bevor nun lange diskutiert
wird, lassen sich alle vom Eifer Pieros anstecken und tun, was zu tun ist.
Golding denunziert seine Protagonisten nicht, schöpfen sie doch allesamt
ihre Fähigkeiten aus, um ihr Leben bis zum bitteren Ende zu meistern,
und dieses Ende ist nahe - der Roman spielt im 14. Jahrhundert, es grassiert
die Pest. Ein anrührendes Volksmärchen. Nur ein Märchen?
Märchen sind nicht zuletzt Geschichten voller Weisheit!