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Büchernachlese-Bestenliste 2012

Werner Fuld

Das Buch der verbotenen Bücher

Universalgeschichte des Verfolgten und Verfemten von der Antike bis heut. Galiani Berlin Verlag, Köln 2012. 352 Seiten. 22,99 Euro. ISBN: 978-3-8697-043-3, >>> Amazon
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Warum eigentlich erst jetzt? Endlich ist dank Werner Fuld eine "Universalgeschichte des Verfolgten und Verfemten von der Antike bis heute" in seinem "Buch der verbotenen Bücher" nachzulesen.
In 12 Kapiteln weist Fuld den Irrtum von Diktatoren nach, ihnen sei die Macht gegeben, jedwede ihnen zum Missfallen in Wort und Schrift geäußerte Idee durch ein Verbot verhindern zu können. Zumindest gelingt und gelang ihnen das auf Dauer nicht.
Andererseits zeigt er auf, dass derlei durch wie auch immer geartete Herrscher verhängte Zensurmaßnahmen nicht selten sogar tödliche Wirkung zeigten, indem sie Autoren in die Selbstzensur, die völlige Aufgabe ihres Schreibens oder in den Freitod trieben, wenn sie nicht schon vorher von einem entsprechend aufgehetzten Mob ermordet worden sind.
Doch wer hier zuallererst und in der Hauptsache an das "Indexsetzen" durch den Vatikan und die systematisch von Studenten betriebene Vernichtung von Büchern während des Nationalsozialismus denkt, verkennt die zeitliche und räumliche Dimension dieses Irrsinns.
So reicht nach Fuld die Historie massenhafter Bücherverbrennungen, die im 18. Jahrhundert sogar wie Hinrichtungen inszeniert wurden, bis zu Kaiser Augustus zurück, der sich damit gegen Orakel- und Weissagungsschriften wendete, um mit seinen Dekreten die alleinige Deutungshoheit über die Zukunft zu gewinnen.
Und sie reicht bis in die Gegenwart und keineswegs nur in die üblichen verdächtigen Länder wie China und Iran ...
So glauben ein Drittel der Menschen in den USA, dass die Welt analog der biblischen Schöpfungsgeschichte entstanden ist und "säubern" ihre Bibliotheken von Werken mit anderen Ansichten zu diesem Thema. Sie entfernten auch Salingers "Fänger im Roggen", da der 16-jährige Holden Caufield darin dem Alkoholgenuß frönt - aus demselben Grund wurde vor 20 Jahren in einer kalifornischen Bibliothek auch das Märchen "Rotkäppchen" entfernt, weil dessen Korb für seine Großmutter Wein enthält. Eine amerikanische Supermarkt-Kette wird inzwischen von Verlagen angefragt, ob Coverbilder von Büchern nicht womöglich ihren Anstoß erregen könnten, da dies ein Kriterium ist, von jener Kette nicht mehr angeboten zu werden.
Und auch im Nachkriegsdeutschland möchte einem als deutschen Staatsbürger allein die seit 1954 bis heute wirkende "Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften", die in den 1950ern und 1960ern nichts gegen neonazistische "Literatur" unternahm, Comics aber als "Schundliteratur" abzuwehren suchte, noch im Nachhinein die Schamesröte ins Gesicht treiben. Von der systematischen Zensur der DDR ganz zu schweigen, die in West-Deutschland noch bis in die 1960er Jahre hinein mit einem generellen Aufführungsverbot von Brecht-Stücken "beantwortet" wurde.
Die Frage nach der Gesundheit wird heutzutage aber auch europaweit immer mehr zu einem Tabu, das jedoch vor allem auf Raucher zielt - in Büchern, im Fernsehen und im Kino rauchen, wenn überhaupt, nur noch die "Bösen", und die "Guten" trinken wie bei Stieg Larsson höchstens noch literweise Kaffee ... Wer Sinn für schwarzen Humor hat, wird sich dann nicht zuletzt an dem Kapitel "Varia et Curiosa" erfreuen - dort wird u.a. festgestellt, dass gerade Darwins Werke NIE auf dem vatikanischen Index standen. Die gingen bei den nach zigtausenden zählenden indizierten Büchern wohl einfach unter ...
All dies Unsägliche - und noch viel mehr davon! - fundiert recherchiert, höchst eingängig und an keiner Stelle langatmig auszubreiten, ist eine gar nicht hoch genug einzuschätzende Leistung von Werner Fuld. Über die rein historische Aufbereitung hinaus stößt sein Buch zudem sehr aktuelle Fragen an, wie z.B. wenn es darum geht, ob und inwieweit die Persönlichkeitsrechte von Prominenten und Nicht-Prominenten eine Zensur rechtfertigen oder nicht.
Ein populärwissenschaftliches Sachbuch also, dem man gern und guten Gewissens die Aufnahme in die Bestsellerlisten wünscht! Denn wie anfechtbar Demokratien sind, zeigt sich gerade auch darin, wovor sie mündige Bürger zu schützen glauben müssen - da heißt es, aus der Geschichte zu lernen und stets wachsam zu bleiben! Dieses Buch bildet dafür ein hilfreiches Vademecum.

Buechernachlese © Ulrich Karger


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