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Natalie erzählt von ihrer Angst. Die Angst hat viele Namen. Natalies
Angst heißt Montag. Montags zu spät zum Fahnenappell erscheinen,
bedeutet Strafe und nicht zuletzt unangenehm aufzufallen. Natalies Eltern
sind Christen, der Vater Pfarrer. Trotz hervorragender schulischer Leistungen
werden am Ende weder Natalie noch eines ihrer vier Geschwister zum Abitur
gelassen. Ihr "gesellschaftliches Engagement" ist nicht ausreichend,
bei den diversen Gelegenheiten mitmusiziert und sogar Preise gewonnen zu
haben, gleicht die Nicht-Mitgliedschaft bei den Pionieren nicht aus.
Diese sehr dichte Erzählung von Caritas Führer ist in verschiedener
Hinsicht verstörend. Am stärksten ist ihr der Anfang gelungen,
worin sie die brutale Abweisung der siebenjährigen Ich-Erzählerin
schildert, die in kindlicher Unschuld die Liebe ihrer Lehrerin gewinnen
will. Nicht nur die überzeugten Ausgrenzer anderer Lebensauffassungen
in der DDR, sondern auch die erdrückende Mehrheit der Mitläufer
machen das Leben Natalies zur Hölle. Demgegenüber steht das Beharren
des Vaters, der keines seiner Prinzipien aufgeben, in seiner eigenen Angst
der Tochter aber nur ein mangelhafter Schutzschild sein kann. Das Kind
kann sich letztlich nur auf sich selbst verlassen, und die Autorin gewährt
ihr denn auch neben den DDR-Tugenden Fleiß und Strebsamkeit ein preisträchtiges
Maltalent, das wiederum ein märchenhaftes Finale dieser Erzählung
erlaubt.
Der im "Westen" sozialisierte Leser fragt sich nun jedoch, warum im
Vorsatzblatt betont wird, daß das Werk reine Fiktion, die Ähnlichkeiten
mit lebenden Personen rein zufällig und von der Autorin nicht beabsichtigt
seien. Immer noch Angst, vor denen, die in ihrer "Ostalgie" eventuell
von Nestbeschmutzung reden wollten? Oder die Angst vor vorlauten Germanisten,
die das Autobiographische als "unkünstlerisch" diffammieren? Das selbstbewußte
Finale, das zwar das Ziel beschreibt, aber ganz bestimmt keine Hilfestellung
für Kinder in ähnlicher Situation sein kann, verkümmert
so zum Pfeifen in dunkler Nacht.
Dennoch: Einzelne Passagen sind sprachlich sehr gelungen, und "DIE
MONTAGSANGST" stößt womöglich eine fruchtbare Auseinandersetzung
über die kleinen und kleinsten Dissidenten einer Diktatur an.