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Thomas ist der Sohn des Wirts von Walberswick. In diesem Küstendorf in der nordöstlich von London gelegenen Grafschaft Suffolk lernt er einen Sommergast kennen, dessen Äußeres ihn zuerst an Sherlock Holmes denken lässt. Doch Mr Mac ist kein Detektiv, sondern macht in den Augen der Dorfbewohner nichts Anderes, als Spazieren zu gehen, dann und wann Blümchen zu malen oder auch nur am Strand in die Ferne zu starren. Als mit Ausbruch des ersten Weltkrieges die anderen Sommergäste abreisen, bleiben Mr Mac und seine Frau. Und dass Mr Mac auch in diesen Zeiten noch an seinen Gewohnheiten festhält, macht ihn für die Dorfbewohner nicht nur zum Sonderling, sondern sehr verdächtig. Doch Thomas beschützt Mr Mac und seine Frau, nachdem diese seine ersten Zeichnungen sehr gelobt und damit begonnen haben, ihn in eine ganz neue Welt der Bildenden Kunst einzuführen.
Esther Freud, Tochter des Malers Lucian Freud und die Urenkelin des Psychoanalytikers Sigmund Freud, hat mit "Mein Jahr mit Mr Mac" einen Roman vorgelegt, der trotz seiner zeitlichen Verortung ein hochaktuelles Thema anspricht.
Die Ich-Perspektive ihres am Ende der Kindheit stehenden "Helden" Thomas ist die eines sehr genauen und nahezu vorurteilsfreien Beobachters. Sie "zeichnet" sehr treffend und pointiert das Klein-klein des Alltags in einem englischen Küstendorf Anfang des 20. Jahrhunderts, wie auch die Wunschvorstellung, sich als Seefahrer von dessen Beengtheit zu lösen. Mit dem Kennenlernen der Macs erfährt Thomas jedoch eine ganz andere Form der Horizonterweiterung, noch dazu auf einem Gebiet, das von allen Anderen im Dorf bestenfalls wenig Beachtung fand. Die Macs lehnen sich im Wesentlichen recht eng an das reale Künstlerehepaar Charles Rennie Mackintosh und Margaret MacDonald Mackintosh an, das sich tatsächlich in jenem Jahr in Walberswick aufgehalten hat.
Die Beglückung von Thomas, in die Bilder der beiden Vorläufer der Modern Art eintauchen zu können, überträgt sich unmittelbar auf den Leser, genauso wie sein Hoffen und Bangen um eine erste Liebe wie auch das Nachvollziehen eines sehr harten, wenn nicht gar brutalen Alltags, der auch Kinder und Heranwachsende nicht schonte.
Das "hochaktuelle" Moment ist jedoch das wachsende Misstrauen der Dorfgemeinschaft gegen jeden, der ein Feind sein könnte - und wie dieses Misstrauen durch unsägliche Erlasse seitens der englischen Regierung befördert wird. Da gereichte es schon zum Verdacht, dass ein englischer Künstler den Briefkontakt zu einem deutschen Kollegen hält …
Der Autorin ist somit eine wunderbar unterhaltsame Melange aus Jugend- bzw. Entwicklungsroman, historischem Zeitbild, Kunstbetrachtung und Spiegelung gegenwärtig (mal wieder!) allzu simpler Sündenbockzuweisungen gelungen.
Unbedingt lesenswert!