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Werner Filmer dürfte der "breiten Leserschaft" zusammen
mit Heribert Schwan bisher als Autor von gefälligen Biographien über
noch lebende Politikergrößen bekannt geworden sein. Die weiß
dann auch, daß er mittlerweile Hauptabteilungsleiter für Kultur
und Wissenschaft des WDR-Fernsehens ist. Dieser Werner Filmer hat nun ein
bestechend persönliches Buch verfaßt: "MEIN VATER - TAUSEND
TAGE LEBENSENDE".
Darin legt er auf knapp 160 Seiten Rechenschaft über die Begleitung
der letzten Jahre seines Vaters ab. Ihm gelang damit ein wertvolles Stück
authentischer Literatur. Seine persönlichen Einlassungen leben von
einer nüchtern prosaischen Sicht auf die Ängstlichkeiten, den
Ekel im Umgang mit sabbernden Alten und sind dabei von nahezu lyrischer
Dichte.
"Heute morgen las ich von der Heiterkeit des Alters. Es gelingt
mir nicht, heiter zu sein. Er ächzt, stöhnt. Gegenwart scheint
unverständlich zu sein. Gegenwart steigert Verwirrung. Der Nußbaum
im Garten wirft Früchte ab."
Als sein Vater mit 89 stirbt ist Filmer 59 Jahre alt. Vier Jahre hatten
Filmer und seine Frau den Vater bei sich aufgenommen, ihn auf sich genommen.
Das eigene Altsein ist ihm beim langen Sterben seines Vaters nahegerückt,
ohne Pathos, vielmehr mit dem Schrecken, u.a. vielleicht selbst in der
Versuchung gewesen zu sein, was statistisch durchaus erhoben, aber unter
den Deckmantel des Tabus gekehrt wurde: Die Gewalt gegen alte, nach Urin
und Kot stinkende Menschen nicht nur seitens des professionellen, stets
unterbesetzten Pflegepersonals, sondern auch der aufopfernd pflegenden
Lieben daheim. Seine tagebuchartigen Aufzeichnungen stützt der Autor
mit sechs Recherche-Einschüben und einem Interview, die er bei seiner
parallel erarbeiteten Fernsehdokumentation "Gewalt gegen Alte" (ARD)
gewonnen hat. Ohne Patentrezepten oder häuslicher Idylle das Wort
zu reden, legt Werner Filmer mit diesem Buch den Finger auf eine offene
Wunde: Den üblich gewordenen eigentümlichen Verlust des Sterbens
aus dem Wohn- und Sichtfeld der Menschen. Gerade hierbei könnte Schmerz
ein Zeichen von Heilung sein ...