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Wenn ich gestehe, vor der Lektüre des Buches von Peter Ensikat
wenig mehr als seinen Namen gekannt zu haben, mache ich mich gleich als
"Wessi" kenntlich. Denn Peter Ensikat hatte und hat auf bzw. hinter den
Kabarettbühnen der "neuen Ostprovinzen" denselben guten Klang wie
Dieter Hildebrandt oder Hans-Dieter Hüsch in der "alten Westprovinz".
Der Buchtitel AB JETZT GEB' ICH GAR NICHTS MEHR ZU mit dem Vermerk
"Nachrichten aus den neuen Ostprovinzen" ließ mich erst eher skeptisch
die Seiten aufschlagen, aber dann...
Jedes seiner autobiographischen Kapitel überschrieb P.E. mit einem
"Wieso..." und legt dem Buchtitel zum Trotz die Hinter-und Beweggründe
seines Lebens offen. Und so, wie er gekonnt Anekdotisches und fundiert
Grundsätzliches vorträgt, erweist sich sehr bald, wie absurd
es ist, weiterhin den Unterschied zwischen "Ost-" und "Westprovinzlern"
aufrecht erhalten zu wollen. Selbstbewußte, d.h. sich ihrer Stärken
und Schwächen bewußte Menschen waren auf beiden Seiten der Demarkationslinie
vorhanden ..und auf beiden Seiten in der Minderheit. Und solche Menschen
(wie P. E.) lassen sich offenkundig auch nicht durch "die Nachwendezeit"
dieser unserer gesamtdeutschen Provinz beirren.
So erfahre ich als "Wessi" natürlich Neues und Anderes, weil jede
Biographie ja anders als meine ist und natürlich auch, weil es eine
Biographie in einem anderen, wenn auch deutsch-transformierten, System
war. Aber so, wie sich nach dem Fall der Mauer auf Anhieb Kongruenzen und
Konkurrenzen zwischen Verlierern und Gewinnlern ergaben, fanden und finden
Denkende (insbesondere "Andersdenkende") sofort zueinander.
"Ich wurde nicht gelebt, ich habe gelebt. Also habe ich auch höchst
eigenmächtig versagt, wo ich versagt habe."
Alles auf das System zu schieben, kommt für P.E. nicht in Frage,
auch wenn z.B. der unfreundliche Kellner oder der steuernhinterziehende
Handwerker Vorbilder aus dem einen wie dem anderen System nachweisen konnten
und können. Wie auch in seinen Anmerkungen zur "sozialistischen Erziehung"
will er betonen, daß einem mit Klischees nicht gedient ist, sondern
man um den differenzierenden Blick hinter die Kulissen nicht herumkommt
- eine unter vielen Erkenntnissen, die ihn wie alle exzellenten Kabarettautoren
auszeichnet. Die Ratlosigkeit über das Allgemeine, sprich die Nichtüberwindung
der Dummheit, wird ganz selbstverständlich ergänzt von der Ratlosigkeit
über das eigene Versagen. "Wieso ich meine Stasiakte nicht sehen
will" und "Wieso ich feige bin" sollen hier stellvertretend
für die vielen anderen bemerkenswerten Kapitel genannt werden. Und
natürlich werden alte und neue Kabarett-Texte vorgestellt, die jetzt
auch die Noch-nicht-DIESTEL-Besucher überzeugen sollten.
Alle, die Kabarett lieben und sich ohne moralinsaueres Geschwätz
von der Moral eines gelebten Lebens im Bewußtsein der eigenen Veranwortlichkeit
erzählen lassen wollen, kommen um dieses tiefschürfend vergnügliche
Buch nicht herum.