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Michael Endes neuestes Werk DAS GEFÄNGNIS DER FREIHEIT versammelt
acht Erzählungen, die zwar wie die berühmten Geschichten für
Kinder dem Phantastischen treu geblieben sind, aber in der Auslotung des
dunklen Bösen tiefer gehen und auch dem schwarzen Humor Tribut zollen.
Sie variieren allesamt ein großes Thema: Die (notwendige) Wirklichkeit
der Phantasie, die neben dem Meß-und Greifbaren auch Un-Gewöhnliches
zu denken erlaubt.
Die erste Erzählung wurde hervorragend in das Ambiente einer viktorianischen
Mischung aus Poe und Dickens gesetzt und beschreibt die erste und letzte
Passion eines gefühlskalten Adeligen. Hervorragend, obwohl darin Fremdwörter
wie unverrührte Klumpen schwimmen, die ohne Funktion lediglich den
Besitz eines entsprechenden Lexikons nachzuweisen vermögen. Danach aber hat sich Ende offenbar "warm" geschrieben und seine
phantastischen Ideen einer konsequenten Sprachregelung unterworfen.
Die nachfolgenden drei Erzählungen aus heutiger Zeit reiben sich
an dem Widerspruch zwischen der Wahrnehmung objektiver und subjektiver
Größenverhältnisse. Das beginnt mit dem KORRIDOR DES BORROMEO COLMI, der die Perspektiven nicht nur scheinbar,
sondern tatsächlich verzerrt. Wer hineingeht, wird kleiner, schaut
er sich jedoch zu dem am Eingang verweilenden Partner um, bekommt er es
mit der Angst zu tun: Dort steht nämlich nun ein erschreckend großer
Riese. Daß es sich bei dieser Geschichte um ein Zeitungs-Essay handelt,
wird erst in der nachfolgend abgedruckten Reaktion eines Leserbriefes klar.
Joseph Remigius Seidl, Studienrat a.D., sieht sich nämlich ermutigt,
nun seinerseits von einem unheimlichen Erlebnis aus seiner Kindheit zu
erzählen... Dem wiederum schließt sich eine amüsante Liebeserklärung
an Italien und seine Bewohner an, die u.a. zu acht in "einem jener lächerlich
kleinen Autos, die wie Brötchen aussehen" Platz finden.
Die restlichen vier sind altmeisterlich zeitlose Parabeln, die so aktuell
sind, daß sie u.a. auch auf Verhältnisse zwischen alten und
neuen Bundesländern anzuspielen vermögen.
Der andere Michael Ende ist also gar nicht anders, sondern einfach
ein Könner auf verschiedenen literarischen Parketts.
Weitere Besprechungen zu Werken von Michael Ende und Sekundärliteratur dazu siehe:
Büchernachlese-Extra: Michael Ende