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Gerhard Eikenbusch

Wie eine Feder im Flug

Roman. Union, Stuttgart 1989, 257 S., ISBN: 3-8139-5662-8, >>> Amazon
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"Eine wichtige Anmerkung wegen der leichten Erreichung des Gehorsams ist diese, daß die Kinder alles Verbotene ohne Zweideutigkeit richtig als verboten kennen. Nichts führt zu einem so erbitternden Unwillen als Unwissenheit, die als Fehler gestraft wird. Wer die Unschuld straft, der verliert das Herz!" - so JOHANN HEINRICH PESTALOZZI in der zum 200. Geburtstag erschienenen Biographie von Stephan Hirzel. Trotz seiner Einsicht wurde dem RETTER DER ARMEN, dem PREDIGER DES VOLKES und dem VATER DER WAISEN (Zitat aus P.'s Grabinschrift) in der ersten Hälfte seines Lebens (1746-1827) zumeist nur Spott und Unverständnis entgegengebracht.
Ein Vierteljahrhundert nach Hirzels Würdigung unternimmt wieder einer den Anlauf, dem Namenspatron vieler Schulen, Heime und Kindergärten "gerecht" zu werden. Gerhard Eikenbusch hat aber keine Biographie, sondern einen Roman verfaßt, dessen inhaltlicher Rahmen in erster Linie der Psycho-Logik dieses Lebenslaufes nachgeht. Was war Ursache und Antrieb für P's idealistischen Eifer? Etwa Selbstlosigkeit? Ja und nein!
WIE EINE FEDER IM FLUG setzt 1749, also beim 3-jährigen Johann Heinrich und dem noch lebenden Vater ein. Jahreszahl für Jahreszahl werden die Umstände einer relativ "privilegierten" Kindheit vorgeführt, d.h. nach dem Tod des ständig arbeitslosen Vaters ermöglicht die Mutter unter großen Entbehrungen dem Sohn sogar den Besuch einer Lateinschule, die er aber vorzeitig abbricht. Heinrich hätte Pfarrer werden können, aber er hatte Größeres vor Augen. Jedoch alles, was er anfängt und wozu er Gelder und Kredite seiner Freunde und zuletzt sogar das ausgezahlte Erbe seiner Frau aufbraucht, scheitert. Er ist genauso ein Versager wie sein Vater.
Ab dem Jahr 1770 wechselt die Erzählperspektive von Pestalozzi zu dessen Kind Jacob. P. will für ihn "nur das Beste", bringt Jacob aber lediglich ein Trauma nach dem anderen bei, an deren Auswirkungen dieser schließlich schon mit 31 Jahren sterben wird. Und damit endet die Geschichte.
Dieser Roman könnte von der schweizerischen Psychoanalytikerin Alice Miller (AM ANFANG WAR ERZIEHUNG) inspiriert worden sein. Ohne die historischen, geographischen und andere Umstände herunterspielen zu wollen (der Autor wurde offenbar sehr fachkundig von der Geschichtswerkstatt Dortmund beraten), treibt anscheinend eine jede Elterngeneration das Rad fremdbestimmter Lebensführung voran. Jedermensch will glücklich und zufrieden sein, steht aber unter einer Art posthypnotischem Zwang, zuvörderst elterlich-erzieherische Maßgaben zu erfüllen. Erst spät, bei Pestalozzi in dessen zweiten Lebenshälfte, können davon abweichende Ideen entwickelt und dann wenigstens von anderen umgesetzt werden. Das eigene Kind hat allerdings nichts mehr davon. P. war zu selbstlos, konnte zuwenig bei sich sein, um seinem Kind gegenüber spontan das "Beste" empfinden und entgegenbringen zu können. Aber Häme und Ironie über den "Klassiker der Pädagogik" auszuschütten, würde nur ablenken, denn wer hier Schuld- oder Schwarze-Peter-Karten verteilen möchte, sollte erstmal versuchen, an dem Brett vor seiner eigenen Stirn zu sägen.
Dieses Buch kann und will dem Werk Johann Heinrich Pestalozzis nicht gerecht werden, sondern einmal mehr nachvollziehbar machen, wie sehr doch Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen - nicht weil der Anspruch zu hoch wäre, sondern die Wirklichkeit überwiegend brutaler Lebensfeindlichkeit ausgesetzt ist, gegen die anzukämpfen, keinem und keiner leicht gemacht werden.
Alle, die an und noch lieber über Menschen arbeiten, könnte dieser Roman auf den Boden der Tatsachen, d. h. auf sich selbst zurückwerfen helfen. Daß dies eine bemerkenswerte Qualität darstellt, weiß jede und jeder, die erkannt haben, daß ein selbst-bewußtes Erinnern an das eigene Woher und Warum vor jeder grauen Theorie zum Verständnis und Helfenwollen anderer stehen sollte.

Buechernachlese © Ulrich Karger


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