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"Zwei Männer kamen in den Regenwald. Eben noch hatten die schreienden
Vögel den Wald mit Leben erfüllt. Jetzt war es still. Die Tiere
ließen die Männer nicht aus den Augen. Warum waren sie gekommen?
Der ältere Mann zeigte auf einen großen Kapokbaum. Dann ging
er."
Der Text zu dem ersten Blatt dieses Bilderbuches, wird wie die anderen
in den schwelgerischen Farben der üppigen Fauna und Flora des Regenwaldes
illustriert. Natur im Überfluß könnte man meinen. Jedoch
die stumme Anweisung des älteren Mannes stellt für die Tiere,
und nicht nur für die Tiere, eine Bedrohung dar. In das harte Holz
des Kapokbaumes schlägt der jüngere mit der Axt hinein, solange
bis "ihn in der Hitze und dem beständigen Summen des großen
Waldes ein tiefer Schlaf" überkam. Zu dem Schlafenden schlängelt
sich eine Boa Constrictor, aber nicht etwa, um ihn zu erwürgen, sondern
um als erste in das Ohr des Mannes zu zischen: "Senhor, dieser Baum
ist ein Baum voller Wunder. Er ist mein Zuhause und alle meine Vorfahren
haben hier gelebt. Fälle ihn nicht."
Eine Biene, eine Affenhorde, ein Tukan, ein kleiner Baumfrosch, ein
Jaguar, ein Baumstachler, ein Ameisenbär, ein Faultier und zuletzt
ein Kind aus dem Stamm der Yanomami-Indianer nennen ihm der Reihe nach
auch für Kinder nachvollziehbare Gründe, diesen Baum nicht zu
fällen.
Ein derartiges Thema ohne moralinsaures Drumherumgerede durchzuhalten,
ist nicht einfach, aber möglich, wie die Autorin und Malerin Lynne
Cherry, nicht zuletzt auch dank der schnörkellosen Übersetzung
von Jutta Langreuter, bewiesen hat.
Zugleich entwickelt sich in dem Dreieck der sichtbar überwältigend
farbenprächtigen Natur, dem Auftrag des Holzfällers und der knappen
auf die schlichte Realität bezogene Wenn-dann-Poesie der Tiere eine
sich steigernde Spannung. Was wird der junge Mann am Ende tun? Das ist
völlig klar! Wer in die Lage gerät, die sachlichen Argumente
wirklich zu hören und dann die vielfältige Schönheit dieses
Regenwaldes sieht und kennenlernt, kann davon nicht unberührt bleiben
- das ist doch kinderleicht!
Managern und Politikern mit Kindern oder Enkelkindern sei dieses Buch
genauso heftig empfohlen, wie allen anderen auch, damit sie nicht nachlassen,
die erstgenannten auf kinderleichte Logik aufmerksam zu machen.