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Mitten in den Alltag der Norderns platzt Onkel Karl aus dem Westen, der totgeglaubte Bruder der Großmutter. Anfänglich
das Abziehbild eines gönnerhaften Uncle Henry, der seinen wiedergefundenen Verwandten vorführt, wie ein Vertreter wirtschaftlicher
Interessen selbst in Ostberlin servilen Luxus zu Tage fördern
kann, konfrontiert er sie zuletzt mit einer Weltsicht
der Dinge, die die Familie in zwei Lager spaltet. Der eigentliche
Anlaß seines Besuches war das Ausfindigmachen eines
Ministerialangestellten, der ihn und seine nach wie vor
aktiven "Kameraden" mit dem Archivmaterial ihrer SS-Vergangenheit
erpressen wollte. Es kommt zu einem bedauerlichen "Unfall",
und nun soll die unverdächtige Oma die Papiere in den Westen
schaffen - und für Oma ist das eine "Ehrensache"!
Der englische Autor Peter Carter ist davon fasziniert,
wie "der kleine Mann" sein Leben meistert. Mit
großem Einfühlungsvermögen und offenbar
gut recherchiert erzählt er von einer in einem Vorort Ostberlins lebenden
Familie, die in der Summe ihrer Privilegien im Westen als "kleinbürgerlich"
karikiert würde. Solidarität und Pflichtbewußtsein,
Fleiß und Ausdauer schienen sich auszuzahlen: Der Vater sollte bald
befördert werden, und seiner Tochter
Erika wurde eine sportliche Karriere vorausgesagt,
die nach höchsten Ehren streben könnte. Aber der "Schicksalsschlag"
in der Gestalt des Onkel Karls macht all diese Träume
zunichte - wird diese Vergangenheit der "Stasi"
bekannt, erhält die ganze Familie den Stempel der Unberührbarkeit
eines Parias. So brutal dieser Mechanismus in der DDR auch seine
Anwendung finden mag, so stellt sich den Lesern dieses Buches
zugleich die Frage, inwieweit "bei uns"
Fleiß und Ausdauer z.B. vor Arbeitslosigkeit schützen
und im Gegenzug zum Terror der Gesinnungsschnüffelei, der allzugern
umgehängte Mantel des barmherzigen Vergessens und
Verdrängens bereitgehalten wird.
Dieser ohne Schmus und wegen seiner Rahmenhandlung spannend
entwickelte Roman wäre sicher auch für
die Schüler und Schülerinnen einer Oberstufe
eine große Hilfe, für die mehr denn je notwendige
Auseinandersetzung um die gemeinsame Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft beider deutschen Staaten einen Standpunkt
zu finden.