buechernachlese.de
|
Im Jahre 1890 verschwindet in Vigàta der angesehene Bankfilialleiter und Familienvater Antonio Patò. Er verkörperte wie schon fünf Karfreitage zuvor den Judas in einem Passionsspiel - doch dieses Mal ist er nach seinem Bühnenabgang im wahrsten Sinne des Wortes wie vom Erdboden verschluckt und nicht mehr auffindbar. Wurde er ein Opfer seiner Rolle und im religiösen Wahn ermordet? Oder ist er geradewegs in die Hölle gefahren? Oder wollte sich nur ein Schuldner seines unerbittlichen Gläubigers entledigen?
Commissario Ernesto Bellavia und Maresciallo Paolo Giummàro werden mit Hinweisen überhäuft, die in ihrer aberwitzigen Vielfalt geradezu atemberaubend sind - und der Druck durch Öffentlichkeit und nicht zuletzt auch durch die Vorgesetzten wächst, denn Patò ist mit einem bekannten Senator verwandt.
In Form eines chronologisch geordneten Dossiers aus offiziellen und vertraulichen Eintragungen der ermittelnden Beamten sowie den sie kommentierenden Zeitungsmeldungen entwickelt Andrea Camilleri einen historischen Kriminalroman, der vor allem das Zwerchfell reizt. Natürlich kommt in "Der zweite Kuss des Judas" auch die Spannung nicht zu kurz. Den Honig saugt Camilleri jedoch aus dem Sittenbild, wie es sich insbesondere zwischen den Zeilen dieses Dossiers abzeichnet. Es gemahnt an "Don Camillo und Peppone", wie sich der Commissario und der Maresciallo durch das Dickicht aus Hinweisen und sich z. T. widersprechenden Anweisungen der Vorgesetzten lavieren müssen, um am Ende eine alle Seiten befriedigende Auflösung zu finden. Und man sieht: Gewisse Mentalitäten des königlichen Vigàta tragen auch noch im republikanischen Vigàta des berühmten Nachfahren Commissario Montalbano Früchte ...
Weitere Besprechungen zu Werken von Andrea Camilleri siehe:
Büchernachlese-Extra: Andrea Camilleri