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Nachdem er zu seinem ersten Verleger in Deutschland wurde, legt Helmut Braun nun auch die erste Biographie von Edgar Hilsenrath vor. Braun untertitelt sie zurückhaltend als "Annäherung", die gleichsam als Einladung für weitere, womöglich noch mehr ins Detail gehende Biographien über diesen mittlerweile 80 Jahre alt gewordenen Autor dienen soll. Sein ambitioniertes, spürbar von Sympathie getragenes Buch hat aber in jedem Fall schon einmal den Rahmen abgesteckt und ein Ausrufezeichen gesetzt, sich endlich wieder und weit mehr als bisher mit Edgar Hilsenrath und seinem Werk auseinanderzusetzen.
In sieben Kapitel unterteilt, geht das erste auf Herkunft und Kindheit Hilsenraths, das zweite auf sein Überleben des Holocausts ein. In Kapitel drei und vier die Flucht nach Palästina, danach das Wiedersehen mit der Familie in Frankreich, schließlich die Ausreise in die USA, wo er seinen ersten Roman "Nacht" fertig stellt und sich währenddessen mit Hilfsarbeiten über Wasser hält. Ab Kapitel fünf verlagert sich der Schwerpunkt immer mehr auf die Schriftstellerei, es bahnen sich erste Kontakte mit deutschen Verlegern an, die jedoch von vorneherein aberwitzig groteske Züge tragen. Im 6. Kapitel die Rückkehr Hilsenraths nach Deutschland, sein Leben hierzulande als trotz aller Widerstände ge- und beachteter Autor, das 7. Kapitel schließlich, das von schwerer Krankheit, dem Verlust der geliebten Lebensgefährtin, dem Ausmustern durch den Großverlag Piper berichtet, um mit dem hoffnungsvollen Neubeginn der Gesammelten Werke im Verlag dieser Biographie zu enden.
Ihr Titel "Ich bin nicht Ranek" ist programmatisch und Braun arbeitet sich auch brav, aber ein wenig unschlüssig daran ab, dass Edgar Hilsenrath stets betonte, nicht mit den Handlungsträgern seiner Romane identisch zu sein. Anlässe dieses Windmühlenkampfes bildeten u.a. Klappentexte zu Hilsenraths Büchern, die mit dem "Autobiographischen" ihres Inhalts geworben haben. Dabei geht es bei diesem früher oder später alle belletristischen Autoren angehenden Problem doch nur um eine gewisse Laxheit in der Handhabung des Begriffes. "Autobiographisch" sind per se alle Werke eines "Autors". Selbst Sachbücher zeichnen sich durch die Handschrift ihrer Autoren aus, wie sie ein Thema begrenzen und es in Form bringen. So gesehen sind Hilsenraths Romane selbstverständlich allesamt "autobiographisch", setzt er darin doch seine eigenen Erfahrungen und die von ihm wahrgenommenen Erlebnisse anderer um. Aber selbst "Autobiographien" bergen, wie an einem jüngst skandalisierten Beispiel abzulesen ist, längst nicht die komplette Wirklichkeit und Wahrheit des Beschriebenen, teilen lediglich seine naturgemäß begrenzte Sicht auf sich mit. Wer jedoch von Hilsenrath allein die beiden Romane "Nacht" und "Der Nazi und der Friseur" miteinander vergleicht, merkt sofort den Unterschied zu einem die "Autobiographie" abmalen wollenden Text. So mag manches der beiden darin agierenden Protagonisten aus dem Leben Hilsenraths abgeschaut worden sein, aber sie unterscheiden sich in ihrer Haltung und Weltsicht wie Tag und Nacht, sollen und wollen in ihren Romanen jeweils etwas ganz anderes als Thema und Geschichte transportieren, beweisen allesamt das kreative wie mutige Genie des Schriftstellers Edgar Hilsenrath. Gerade deshalb ist diese Biographie von Helmut Braun ja auch so spannend, belegen die biographischen Details auch ohne seine Schlussfolgerungen doch z.T. nur haarscharfe Trennungslinien wie eben auch sehr eindeutig auseinanderklaffende Unterschiede zwischen der realen Vita Hilsenraths und seinen Romanfiguren.
Da Helmut Braun selbst rühmlichen und kenntnisreichen Anteil an diesem Abschnitt im Leben Edgar Hilsenraths hat, sind die Kapitel, die Hilsenraths Aufnahme als Autor im deutschen Sprachraum schildern, kaum minder fesselnd als dessen Herkunfts- und Überlebensgeschichte. Man möchte diese Abschnitte all jenen zur Pflichtlektüre machen, die sich auf den Pegasus schwingen und selber Autor werden wollen. Wer z.B. meint, dass Verleger angesichts der Lebensgeschichte Hilsenraths Beißhemmungen gehabt hätten, ihn zu hintergehen, ja ihn sogar um große Honorarsummen zu betrügen, der irrt. Ganz davon abgesehen, dass deutsche Großverleger sich in den 60ern noch feige bedeckt hielten, als Hilsenraths Romanerstling bereits als Welterfolg in mehrere Sprachen übersetzt war.
Anrührend dagegen, wenn der Biograph die bescheidenen Lebensumstände des Autors schildert, der sich bis heute nichts aus Äußerlichkeiten macht und sich offenbar stets einen durch kaum etwas zu erschütternden Humor bewahrt hat.
Diese Biographie liest sich, trotz der kleinen Mäkelei oben, dank ihrer unprätentiösen Sprachregelung wie von selbst, und Helmut Braun, der als Freund und Verleger eine äußerst gewichtige Rolle im Leben Edgar Hilsensraths spielt, weiß stets, wer das Zentrum dieses Buches bildet. Dennoch oder gerade deswegen kann ihm gar nicht genug dafür gedankt werden, Edgar Hilsenrath dem deutschen Sprachraum zugänglich gemacht, auch dank seiner jüngsten Intervention, wieder zugänglich gemacht zu haben - nicht umsonst ist denn auch der letzte Band der Gesammelten Werke Edgar Hilsenraths ihm gewidmet.
Besprechungen zu Edgar Hilsenrath sowie Gesamtliste der Werkausgabe siehe:
Büchernachlese-Extra: Edgar Hilsenrath