buechernachlese.de
|
Nach Kalla Wefels Taxiroman hat der Metta Kinau Verlag neben seinen
Märchen- und Kinderbüchern nun seinen zweiten Roman ins Programm
aufgenommen. Wie der erste spielt auch dieser in Hamburg, und der Handlungsrahmen
spannt sich von den Endsechzigern bis in die Gegenwart. Knotenpunkt aller
Ereignisse ist aber diesmal ein Haus: Das Eckhaus Haynstraße 1-3/
Hegestraße 41. Für die Hamburger APO- und Hausbesetzerszene
ist diese Addresse genauso gut wie für die Berliner eine in Kreuzbergs
S036. Der Untertitel "Tagebuchblätter.." und der Vermerk "Sämtliche
Namen sind geändert..." weisen schon darauf hin, daß der
Autor keine fiktive story aufgebaut, sondern Erinnerungsarbeit geleistet
hat. Die alten (Vor-)MieterInnen des Hauses gingen eigentlich davon aus,
daß es Ende '70 abgerissen werden sollte. Unter diesen Voraussetzungen
durften auch er und seine drei ersten Mitbewohner den Mietvertrag unterschreiben.
Eine offiziell legitimierte WG also, die sich der (damalige) Vermieter
da in den Bau gesetzt hat...
Reinhard Barth, Jahrgang '43, lebt seit nunmehr 18 Jahren in diesem
Haus und weiß 'ne Menge zu erzählen. Seine eigene Geschichte
verwebt sich dabei mit denen der Wohngemeinschaften, die ein Sammelsurium
politisierter Individuen aushielten, um gegen die wechselnden Hausbesitzer
zu streiten. Die Aktionsformen pendelten dabei zwischen Witz, Aberwitz
und Selbstzerfleischung...
Aber R.B. findet noch mehr an dem Haus. Mit den Alten 'freundet' er
sich an, weil sie für ihn nach damaliger Rechtslage Rückendeckung
boten - solange sie im Haus blieben. Dafür nahm er es dann auch auf
sich, bei seinen Altersgenossen für mehr Rücksicht gegenüber
jenen einzutreten... Später jedoch nimmt er die Geschichten der Alten,
die sich z.T. noch vor dem Kriege in der Haynstraße abspielten, als
originäre Bestandteile seines Hauses wahr. Als Historiker und Hörspielautor
beim Rundfunk hatte R.B. außerdem Zugang zu anderen Informationsquellen,
sodaß man als LeserIn am Ende selber glaubt, das Haus in-und auswendig
zu kennen ..und zu mögen. Der gesunde Sinn für Situationskomik
und die aufrichtige Anteilnahme des Autoren kommen von der ersten bis zur
letzten Seite rüber. Nach dem Schlußsatz: "Gutes, dickes,
braves Haus, wenn wir dich nicht hätten!" werden sich vielleicht
noch mehr in ihren eigenen vier Wänden umschauen...